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Odd Couple: Samstag, 19. November 2016, 22 Uhr im Slow Club


neues Album: "Flügge" (VÖ 04.11.2016)

Wie beschreibt man einen musikalischen Quantensprung? Am besten in Zahlen. 44 Minuten und 41Sekunden ist "Flügge" lang, auf 14 Songs finden sich 13 Instrumente, verteilt auf zwei Musiker und mindestens zehn verschiedene musikalische Einflusssphären. Sampling oder digitale Nachbearbeitung gleich null. Das zweite Album des Berliner Duos Odd Couple ist eine eklektische Mixtur geworden, die sich nicht so einfach in Kategorien pressen lässt. Arbeiteten sich Tammo Dehn und Jascha Kreft auf ihrem vor zwei Jahren erschienenen Debüt "It's A Pressure To Meet You" noch an der Ursuppe des Garage-Rock ab, so erweitert "Flügge" den uralten Rahmen von Gitarre, Bass und Schlagzeug mit selbstbewusster Vehemenz. Die Platte atmet Rockmusik, spricht mit Breitwand-Riffs und nachtschattigen Orgeln die Sprache des Blues, steht jedoch auf dem Skelett einer modernen Interpretation von Krautrock und der repetitiven Durchschlagskraft klassischer Hip-Hop-Produktionen. Das Ergebnis ist ein Sound, den man in der deutschen Musiklandschaft noch nicht gehört hat.

Inhaltlich richtet das Album den Blick konsequent nach innen. Die beiden Kindergarten-Kumpels aus Ostfriesland fühlen sich nach sechs Jahren Berlin in der Stadt angekommen - im Berliner Kreislauf aus Coolness, Drogen und angesagten Hang-Outs jedoch weiterhin fehl am Platz. Was also tun? Wieder satirisch anklagen wie auf ihrem Debüt? Nein, lieber einen prüfenden Blick in den eigenen "Gehirnkasten" werfen wie auch einer der Songs betitelt ist. "Wir haben uns bewusst für die Introspektive entschieden", erklärt Dehn, denn zum einen können wir uns selbst aus der Kritik nicht ausnehmen, zum anderen hat sich in den vergangenen Jahren einiges in uns entwickelt, das nun raus musste." Das beinhaltet zunächst einmal die typischen Zutaten des Pop: Liebe, Schmerz, Angst, Überforderung und Haltlosigkeit. Doch verliert das Duo dabei nicht seinen sezierenden, aber humorvollen Blick auf die eigene Widersprüchlichkeit - und damit auf eine ganze Generation. Besonders deutlich wird das im Titelsong "Flügge", der einen vermeintlich erleuchtenden Trip über das Leben nach Kalifornien beschreibt. Das Problem dabei: Eine Individualreise und ein Yogakurs für Anfänger macht noch keine Weltformel, sondern vielmehr einen lähmenden Kreislauf ständig wechselnder Lebensentwürfe an deren Ende man meistens genauso schlau ist wie zuvor. Woran das liegt? "Let's go online so you can choose out of it", schlagen Odd Couple im launischen Album-Highlight "Très Mello" vor. Und stellen fest: "Too many options make me feel like I'm lost." Am liebsten hätte man nämlich alles. Stadt und Ruhe. Natur und Infrastruktur. Wald und Strom. Am besten mit Wi-Fi.

Dass diese Gesellschaftskritik auch musikalisch funktioniert, liegt ebenfalls an einer Besinnung der Band auf sich selbst. "Flügge fühlt sich an wie unser erstes richtiges Album", sagt Kreft. Der Grund ist einfach: Ihr Debütalbum schmorte vor der Eigenveröffentlichung 2014 genau zwei Jahre und drei Monate auf der heimischen Festplatte, bei "Flügge" waren die Vorzeichen umgekehrt. Die Platte wurde innerhalb weniger Wochen komplett eingespielt, von Dehn selbst gemischt und von Kai Blankenberg gemastert, wobei manche Songs erst während der Sessions entstanden. Dabei waren technische Krücken weitestgehend verboten. Trotz der klanglichen Vielfalt wurden alle Parts komplett durchgespielt und nichts gesampelt. "Wir wollten die Herausforderung annehmen, einen modernen Sound mit analogen Mitteln zu produzieren", erklären die beiden ihre Herangehensweise. "Schließlich wollen wir nichts weniger sein, als eine Retro-Band." Ein positiver Anachronismus sozusagen, in einer Zeit, in der die Rockmusik fast verzweifelt nach ihrer Identität sucht.